Das Lied der Seherin

Leseprobe


 


Prolog

Juni 1670

Der Klageschrei hallte durch das grüne Tal. Er war so durchdringend, dass das Herz des Barden erzitterte.

"Die bean sí ... der Ruf des Feenweibs."

Er wusste, dass sie seinen Tod ankündigte. In Gestalt einer Nebelkrähe segelte sie anmutig über die Burgruine am Wegesrand und entschwand über der dicht bewaldeten Hügelflanke.

Cormac Bán Ó Riordáins Atem ging stoßweise. Die Erkenntnis, dass sein Hochmut ihn das Leben kosten würde, lähmte seine Glieder, fesselte seine Beine an den steinigen Pfad, den er kurz zuvor, noch trunken vom Erfolg seines Wagnisses, entlanggewandert war.

In seinem Rücken vernahm er den Hufschlag eines Pferdes, das einzige Geräusch in dem nun schweigenden irischen Tal, über das sich der Schatten grauer Regenwolken breitete.

Mit dem Gefühl grimmiger Befriedigung war Ó Riordáin am Morgen vom Landsitz der englischen Siedler aufgebrochen. Trotz der Gastfreundschaft, die man ihm erwiesen hatte, nagte die Demütigung seines Abstiegs an ihm. Als file, Poet, Historiker, Chronist der alten Adelsfamilien, als Vertreter der aristokratischen Kaste gälischer Gelehrter, der einst hundert Silbermark als Lohn für ein Gedicht erhalten hatte, war er nun nach dem Zerfall der alten irischen Gesellschaftsordnung dazu verdammt, sein Brot als Barde zu verdienen, als geócach, als niederer Possenreißer, der beim Gelage seiner Gastgeber die Harfe spielte und Volkslieder sang.

Der Schrei der Banshee hatte Cormac Bán Ó Riordáin aus seinen schwermütigen Gedanken gerissen. Als der schnelle Hufschlag in sein Bewusstsein drang, wirbelte er herum, überzeugt, den dämonischen dúlachan hinter sich zu sehen, vor dem ihn seine Mutter als Kind stets gewarnt hatte. Doch es war nicht der Kopflose auf seinem Rappen, der auf ihn zugaloppierte, sondern ein Mann. Für einen Augenblick atmete der Barde erleichtert auf, bevor er den Reiter erkannte. Unschlüssig blickte er ihm entgegen. Als ihm das Wehklagen der Todesfee wieder in den Sinn kam, legte sich eine eisige Faust um Ó Riordáins Herz. Ohne einen weiteren Moment zu zögern, sprang er mit einem Satz, der seine alten Knochen erschütterte, zwischen den Ginster am Wegesrand. Doch wohin sollte er sich wenden, wo Schutz suchen? Sein Blick glitt zu der Ruine des viereckigen Turmhauses. Eine Seite des massiven Gemäuers war vor zwanzig Jahren unter der Gewalt der Cromwellschen Kanonen eingestürzt. Dennoch war es die einzige erreichbare Zuflucht. Zwischen ihm und dem Dorf, durch das er gekommen war, stand sein Verfolger.

Ó Riordáin richtete sich ein wenig auf, um den Weg zu überblicken, der zur Burg führte. Im nächsten Moment erkannte er seinen Fehler. Das scharfe Knallen eines Pistolenschusses zerriss die Stille. Geistesgegenwärtig warf sich der Barde zu Boden. Zu spät! Die Kugel, die ihn in den Rücken treffen sollte, grub sich in seine linke Schulter. Er schrie auf, als der Schmerz wie eine Feuerwalze durch seinen Körper raste und ihn nach Luft ringen ließ. Augenblicklich verlor er jegliches Gefühl in seinem Arm. Der Aufprall des Bleis musste das Schulterblatt zerschmettert haben. In Panik raffte er sich auf, ließ die Harfe, die er auf dem Rücken getragen hatte, zu Boden fallen und rannte in geduckter Haltung auf die düstere Festung zu. Da öffnete der Himmel seine Schleusen, und die schwarzen Wolken ergossen ihre nasse Last über das Tal.

Getrieben von Todesangst, stolperte Ó Riordáin durch Gestrüpp und kniehohes Gras. Jeden Moment erwartete er, einen zweiten Schuss zu hören, glaubte er, einen brutalen Stoß gegen den Körper zu verspüren, der sein Leben auslöschen würde. Doch nichts geschah. Ó Riordáin schöpfte neue Hoffnung. Hatte sein Verfolger aufgegeben?

Mit letzter Kraft erreichte der Barde das Eingangsportal des Turmhauses. Hastig warf er einen Blick zurück auf den Reiter, konnte ihn aber hinter dem dichten Vorhang niederströmenden Regens nicht ausmachen. Der Schmerz pochte in seiner Schulter, und er hatte viel Blut verloren. Erschöpfung überkam ihn. Doch Ó Riordáin war entschlossen, seine Haut so teuer wie möglich zu verkaufen.

Die schwere Holztür war geschlossen und hing schief in den Angeln. Mit der rechten Hand zog er an dem Eisenring über dem Schloss und musste zu seinem Entsetzen feststellen, dass sie sich kaum bewegen ließ. Sie war jedoch der einzige Weg hinein. Der Barde wusste, dass sich an der eingestürzten Seite der Burg der Schutt bis in die oberen Stockwerke türmte und kein Durchkommen bot. Entschlossen biss er die Zähne zusammen, stemmte die Füße in den Boden und zerrte mit seinem ganzen Gewicht an der mächtigen Tür. Mit einem lauten Knarren gab sie schließlich ein wenig nach. Doch der Spalt war noch zu schmal, als dass Ó Riordáin hindurchschlüpfen konnte. Mit der Kraft der Verzweiflung zog er erneut an dem Ring. Die untere Kante des Portals schabte ein kleines Stück über den Boden. Nun musste es reichen! Rasch zwängte sich der Barde durch die Lücke. Als seine verletzte Schulter gegen den Rand der Tür rieb, stieß er einen Schrei aus, in dem sich Schmerz und Wut verbanden.

Im Innern des Turms hielt Ó Riordáin kurz inne, um zu lauschen. Zwischen dem Rauschen des Regengusses meinte er, Hufschlag zu vernehmen. Hastig zog er sich vom Eingang zurück, stolperte in den unteren Saal, in dem einst Diener und Soldaten gespeist und geschlafen hatten. Fahles Licht fiel durch die schmalen Schießscharten herein, vermochte das Halbdunkel unter dem gemauerten Gewölbe jedoch kaum zu durchdringen. Aufmerksam blickte sich der Barde um. Zwei lange Tafeln, bestehend aus aufgebockten, massiven Eichenholzplatten, und mehrere Sitzbänke lauerten bedrohlich im Zwielicht des Saales. Die Südseite, wo damals Offiziere und höhergestellte Diener Platz genommen hatten, war nur noch eine Trümmerwand. Zwischen zerbrochenen Steingutbechern und Flaschen erhob sich ein Holzgerüst, das die Decke stützte.

Vorsichtig bewegte sich Ó Riordáin durch das Chaos, stieß jedoch immer wieder mit dem Fuß an Scherben und anderen Schutt. In seinem Rücken hörte er ein Pferd schnauben. Sein Verfolger war ihm weiterhin auf den Fersen. In wenigen Augenblicken würde er den Saal erreichen und seine Tat zu Ende bringen. Angestrengt kniff der Barde die Augen zusammen, um die Schatten um ihn herum besser zu durchdringen. Er brauchte eine Waffe! In seiner Panik stolperte er über einen langen Holzstab, der auf dem Boden ein metallisches Klirren von sich gab. Mit neu erwachter Hoffnung beugte sich Ó Riordáin hinab und umfasste den Schaft. Es war eine rostige alte Hellebarde, die vermutlich zur Ausschmückung des Saals an der Wand befestigt gewesen war.

Er konnte sein Glück kaum fassen. Nun war er zumindest nicht mehr völlig wehrlos. Die Helmbarte war schwer. Ó Riordáin spannte die Muskeln seines rechten Arms an und hob sie hoch. Das Gewicht brachte ihn zum Taumeln. Noch einmal raffte er alle Kraft zusammen und versuchte, sich die Waffe unter die Achsel zu klemmen. Die Bewegung riss an seiner zertrümmerten linken Schulter, ein frischer Blutstrom rann aus der Wunde seinen Rücken hinab, sickerte warm und klebrig in den Stoff des Hemdes, das an seiner Haut klebte. Seine Finger gehorchten ihm nicht mehr, konnten den Schaft nicht halten. Polternd fiel die Hellebarde auf den Holzboden. Der Knall hallte wie ein Glockenschlag unter dem Gewölbe wider. Ein Schluchzen der Hilflosigkeit brach aus ihm heraus. Er war verloren. Die bean sí irrte nicht.

Die Stille, die seinem verzweifelten Wimmern folgte, wurde von festen, entschlossenen Schritten durchbrochen. Der Verfolger des Barden machte sich nicht die Mühe, seine Anwesenheit zu verbergen. Ó Riordáin wich in den Schutz einer Ecke zurück, wo er die Wendeltreppe ins Obergeschoss vermutete. Er wusste, dass er auf diesem Wege nicht entkommen konnte, doch ein wilder Selbsterhaltungstrieb zwang ihn trotzdem vorwärts. Mit der ausgestreckten Rechten suchte er nach der Tür, hinter der die Treppe lag. In seinem Rücken hörte er seinen Mörder mit der Stiefelspitze gegen eine Flasche stoßen, die über den Boden rollte. Fieberhaft griff Ó Riordáin nach dem Riegel, schob ihn hoch und zerrte an der Tür. Doch sie ließ sich nicht öffnen. Irgendetwas blockierte sie. Am ganzen Körper zitternd, beugte sich der Barde vor und tastete nach dem Hindernis. Seine Finger berührten poliertes Holz, eine umgestürzte Sitzbank lag quer vor dem Durchgang. Schluchzend zog Ó Riordáin das Möbelstück zur Seite. Tränen rannen über sein Gesicht, denn er wusste, dass es zu spät für ihn war. Hinter sich spürte er den Tod nahen.

Das angestrengte Atmen seines Verfolgers drang an seine Ohren. Der leichte Luftstrom, als er die Hellebarde schwang, strich sanft über Ó Riordáins Nacken. Dann traf ihn der schwere Stoß, als die Klinge der Waffe in seinen Rücken eindrang, Wirbel und Rippen durchschlug und unter dem Brustbein wieder heraustrat. Die Gewalt des Angriffs warf den Barden nach vorn, und die Spitze der Helmbarte bohrte sich in die Tür zur Wendeltreppe. Ó Riordáin stieß nur ein dumpfes Stöhnen aus. Der Schock war so stark, dass er sofort jegliche Gewalt über seine Glieder verlor. Blut aus seinem durchbohrten Magen stieg ihm in den Mund und erstickte jeden weiteren Laut. Überwältigt von grausamen Schmerzen, nahm er kaum wahr, wie die mörderische Klinge aus seinem Rücken gezogen wurde, wie er einem Sack Mehl gleich zu Boden stürzte und das Leben pulsierend im Rhythmus seines immer kraftloser schlagenden Herzens aus der Wunde strömte. Jemand packte ihn an den Knöcheln, schleifte ihn wie ein geschlachtetes Wild über den Boden. Ein Fußtritt rollte seinen erschlafften Körper in ein dunkles Loch. Das Letzte, was seine erlöschenden Augen sahen, waren die Holzbohlen, die sich über ihm schlossen wie der Deckel eines Sarges. Dann versank alles in undurchdringlicher Finsternis.



Erstes Kapitel

September 1670

Über dem Land lag ein magisches Licht. Vor den Reitern erstreckte sich ein weites Tal, das von dicht bewaldeten Hügeln eingefasst war. Ergriffen zügelte Amoret Ceara, um den Anblick in sich aufzunehmen. Ihr Gemahl Breandán Mac Mathúna, Baron Shanrahan, brachte seinen Rappen neben ihr zum Stehen.

Seit ihrer Ankunft in Cork vor gut einer Woche waren sie und ihre Begleiter durch die vielfältigen Landschaften der Smaragdinsel gereist, durch üppig grüne Täler, einsame Hochmoore und dichte Eichenwälder. Unermüdlich waren sie über steinige schmale Wege und von tiefem Schlamm bedeckte Pfade geritten, hatten Bäche und Flüsse durchquert und sich zwischen hohen Bäumen hindurchgeschlängelt. In Irland erlaubten die schlechten Straßen fern der Städte weder den Gebrauch von Kutschen noch von Karren. Waren transportierte man auf Packpferden oder zu Wasser. Die Nächte hatten sie in Herbergen verbracht, die aus einfachen Hütten bestanden und nur über ein oder zwei Betten verfügten. Zum Glück hatte Amoret einige Rollbetten und andere Möbelstücke einpacken lassen.

Schon die Überfahrt nach Cork hatte bei der jungen Frau, die bisher nur einige Male mit dem Paketboot von England nach Frankreich gereist war, faszinierende und ein wenig erschreckende Eindrücke hinterlassen. Zwar begegnete man auch im Ärmelkanal nicht selten stürmischer See, doch an der Südküste Irlands war bereits die wilde Unberechenbarkeit des atlantischen Ozeans spürbar gewesen. Im Westen hatten sich gewaltige dunkle Gewitterwolken aufgetürmt und waren wie eine vernichtende Walze auf das kleine Schiff zugerollt. Die starken Windböen, die sie mit sich brachten, hatten an den Segeln gerissen und den Rumpf auf den tosenden Wellen hin- und hergeworfen. Wie hypnotisiert hatte Amoret die breiten Schleppen grauer Regenschauer beobachtet, die das wallende Wolkenmeer hinter sich herzog und hinter denen der Horizont verschwand, als hätte ein nachlässiger Maler mit feuchten Pinselstrichen den Übergang von Himmel und See verwischt. Die Sonne erlosch hinter dem wüsten Ansturm geballter Nässe, und das Meer wurde tintenschwarz. Doch ebenso schnell, wie sich das Unwetter aufgebaut hatte, verzog es sich wieder. Als das Schiff in den Hafen von Cork einlief, brachen bereits die ersten Sonnenstrahlen durch die zerfasernden Wolken, und ein riesiger leuchtender Regenbogen spannte sich über das Land.

Da selbst die Hafenstädte über wenig Unterbringungsmöglichkeiten für Reisende verfügten, waren der Baron Shanrahan und sein Gefolge auf dem Landsitz eines Adeligen untergekommen, den Amoret vom Hof her kannte. Von dort waren Breandán und sie schließlich zwei Tage später mit ihrem Beichtvater Pater Blackshaw und einigen Dienern aufgebrochen, um den Besitz, den Charles II. dem Iren für seine treuen Dienste übertragen hatte, in Augenschein zu nehmen. Insgeheim war die junge Frau froh, dass das Land nicht in unmittelbarer Nähe zu dem Anwesen der Countess of Castlemaine lag, Charles' erster Mätresse und Amorets ehemaliger Rivalin bei Hofe, auch wenn diese vermutlich noch nie einen Fuß dorthin gesetzt hatte.

Von Cork aus ging es ins Landesinnere. Als sie am siebten Tag die Knockmealdown-Berge hinter sich gebracht hatten, wand sich der Pfad durch einen dichten Wald mächtiger Traubeneichen. Die Nässe eines kurzen, aber heftigen Regenschauers glitzerte auf den gelappten Blättern der noch in sattem Grün prangenden Baumkronen. Wie Breandán seiner Frau erzählte, war dies einer der letzten größeren Eichenwälder der irischen Insel, die noch nicht der Axt der Einwanderer zum Opfer gefallen waren. Einst hatten sie den Rebellen gegen die Armeen Königin Elizabeths Schutz und Unterschlupf geboten. Auch aus diesem Grund hatten die Engländer ihre Zerstörung vorangetrieben. Doch nun, da Irland unterjocht und befriedet war, wurden die letzten Eichen- und Erlenwälder entlang der Flüsse gerodet und die Stämme zu Holzkohle verarbeitet. Mit düsterer Miene war Breandán an den Eisenhütten des Earls of Cork, für die die Holzkohle gebraucht wurde, vorbeigeritten. Für ihn war die Vernichtung der irischen Wälder ein Sinnbild der Unterdrückung seines Volkes.

Seit fast zwei Stunden führte der Weg zwischen den knorrigen Eichen dahin. Ein stetiger Wind brachte die Blätter zum Rauschen. Dann öffnete sich plötzlich der Wald vor der kleinen Reisegruppe und gab den Blick auf das zwischen Hügeln eingebettete Tal frei. Die tiefstehende Sonne übergoss das Land mit einem unwirklichen Licht und tauchte es in ein Farbenspiel aus Gold, leuchtendem Smaragdgrün und sattem Rotbraun. Weder Zäune noch Hecken unterbrachen die unendliche Weite der Wiesen, Felder und Hochmoore. Wie ein Diamant funkelte in der Mitte des Geschmeides die ruhige, glatte Wasserfläche eines kleinen Sees, der von einem von Felsen durchzogenen, schmalen Bach gespeist wurde. Tiefhängende Wolken trieben von Westen heran und umhüllten die Hügelkappen mit grauem Gespinst. Der Wind frischte auf und trug den unerwarteten Geruch des Meeres mit sich, den Salzhauch des offenen Atlantiks, der von Stürmen aufgewirbelten See, die überall in Irland, der Insel im tosenden Ozean, fühlbar blieb.

"Nun ist es nicht mehr weit bis Seanraithean", sagte Breandán, der seinen Hengst Leipreachán neben Amoret gezügelt hatte. Angesichts der Weite vor ihm wurde der Rappe unruhig. Trotz der strapaziösen Reise der letzten Tage drängte ihn der Anblick zu einem wilden, ungestümen Galopp, und sein Reiter hatte alle Mühe, das Tier zurückzuhalten.

"Da unten nahe des Sees muss es sein", fügte der Ire hinzu, als er den Hengst wieder in der Gewalt hatte.

Zweifelnd betrachtete Amoret die heranziehenden Wolken, deren Farbe von Perlgrau zu dunklem Anthrazit wechselte.

"Glaubst du, wir werden die Burg vor Einsetzen des Regens erreichen?"

Ein amüsiertes Lächeln huschte über Breandáns wohlgeformte Lippen. "Du bist noch nicht lange in Irland, Liebste."

"Du meinst, sonst würde ich es besser wissen und gar nicht erst die Hoffnung hegen, unser Ziel trockenen Fußes zu erreichen?"

Ergeben rückte sie ihren Hut zurecht und stieß ein Seufzen aus, als die ersten Regentropfen auf die breite Krempe klatschten. Vorsichtig setzten die Pferde ihre Hufe auf den feuchten Untergrund und schüttelten ihre langen Mähnen, als sie aus dem Schutz des Waldes traten. Von Westen rollten weitere Wolkenberge heran, so dass ein schnelles Ende des Schauers kaum zu erwarten war. Bald peitschte den Reitern der Regen seitlich ins Gesicht, und obgleich sie sich unter ihren Umhängen aus wasserabweisender Wolle zusammenkauerten, fühlten sie, wie die Nässe unter ihre Kleider kroch.

Der schmale Bach, an dem sie entlangritten, toste über sein felsiges Bett. Die Zweige der vereinzelten Bäume, der gelb blühende Ginster und die breiten Fächer der Farne bogen sich unter dem Regen, der auf sie niederprasselte. Auf einem halb abgeernteten Weizenfeld senkten die noch stehenden Ähren wie im Gebet die Köpfe. Keine Menschenseele begegnete ihnen. Offenbar hatten die Bauern vor dem Wolkenbruch Schutz gesucht.

Amoret, die trotz der Unbilden des Wetters von einem Fieber der Erwartung erfasst worden war, blickte sich neugierig um. Doch ihre Vorfreude verflog schlagartig, als sie die düstere Ruine gewahrte, die wie ein unheimliches Mahnmal vor ihnen auftauchte. Die aus grauem Stein gebaute Burg mit ihren vier Ecktürmen musste einst beeindruckend gewesen sein und uneinnehmbar gewirkt haben. Doch irgendwann war ein Teil der Südseite eingestürzt, und die oberen Räume waren nun der Zerstörungswut der Elemente ausgesetzt.


 

 
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