Sündenhof

Leseprobe


 

 

Erstes Kapitel

 

Februar 1667

Er war allein. Die nächtliche Stille, die ihn umgab, wurde nur vom Knistern des Feuers im Kamin durchbrochen. Seit Stunden schon stand er am Fenster und sah auf die Themse hinaus, die sich träge durch die schlafende Stadt wand. Die Dunkelheit hüllte alles so vollkommen ein, dass man den Fluss hinter den Glasscheiben, auf denen sich die tanzenden Flammen spiegelten, kaum mehr erahnen konnte. Doch er war ohnehin blind für seine Umgebung. Vor seinem inneren Auge stand das Objekt seiner Sehnsucht, der Stachel im Fleisch des Liebenden: La Belle Stewart.

Er sah ihr Gesicht mit den edlen Zügen, ihr vollkommenes Profil, das bald als Britannia die Rückseite der neuen Münzen schmücken würde. Nur sie war dessen würdig, die keusche, betörend schöne Jungfrau, mit einer Haut wie Milch und Honig, einem Körper voller Grazie - und einem Herzen aus Eis!

Er seufzte tief, und seine Züge verhärteten sich. Es war ein markantes dunkles Gesicht mit schwarzen Augen unter schweren Lidern, einer kräftigen Nase und einem starken Kinn. Dunkle Brauen beschatteten die Augen, und ein schmaler Oberlippenbart verlieh den groben Zügen eine gewisse Eleganz. Die schwarzen Locken einer Perücke umrahmten das Gesicht, in das Schmerz und Enttäuschung tiefere Linien gegraben hatten. So mancher Betrachter hätte es als hässlich bezeichnet.

Im Geiste liebkosten seine Hände den schlanken Frauenkörper, der für ihn unerreichbar blieb. Er hatte sie mit Geschenken und Aufmerksamkeiten überhäuft, ihr alles angeboten, alles - nur nicht die Ehe. Nun ahnte er, dass er sie verlieren würde. Es brach ihm das Herz. Zuweilen hasste er sie sogar.

Das leichte Kratzen von Fingernägeln an der Tür riss ihn aus seinen Gedanken.

"Jetzt nicht!", rief er gereizt.

Die Tür öffnete sich, und der Kammerdiener William Chiffinch trat, den Befehl seines Herrn missachtend, ein.

"Verzeiht, Euer Majestät, aber es ist etwas Schreckliches geschehen!"

"Was ist so wichtig, dass du mich zu dieser Stunde noch stören musst?"

"Ein Mord, Euer Majestät! Man hat im Palast eine Leiche gefunden."

Der Tote war mit einem eilig herbeigeholten Bettlaken zugedeckt worden. König Charles II. gab Chiffinch ein Zeichen, das Laken anzuheben. Wortlos betrachtete er den übel zugerichteten Leichnam, dann nickte er und wandte sich ab.

"Wer hat ihn gefunden?"

Sein Bruder James, Herzog von York, antwortete mit gepresster Stimme: "Eine der Wachen. Er kam sofort zu mir."

"Hat sonst noch jemand den Toten gesehen?"

"Nicht, dass ich wüsste."

"Er kann hier nicht liegen bleiben. Bringt ihn in einen unbenutzten Raum und bewacht die Tür", befahl Charles dem Gardisten, der die Leiche gefunden hatte. "Niemand darf erfahren, dass es im Palast einen Mord gegeben hat. Die Königin und die Hofdamen würden sich nur ängstigen."

"Gleichwohl muss der Mörder überführt werden", mahnte James.

Sein Bruder nickte zustimmend. "Ich werde die Ermittlungen jemandem überlassen, der absolut vertrauenswürdig ist."

"Wem?"

"Sir Orlando Trelawney."

James hatte keine Einwände.

Der König blickte ihn eindringlich an. "Geh zu Bett! Ich kümmere mich um alles."

Charles wartete, bis sich sein Bruder entfernt hatte. Dann wandte er sich an seinen Kammerdiener, der zusammen mit dem Gardisten den Leichnam in das Laken wickelte.

"Chiffinch, für dich habe ich eine besondere Aufgabe."

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Der Geruch der eben gelöschten Kerze hing noch in der Luft. Sir Orlando Trelawney, Richter des Königlichen Gerichtshofs, schmiegte seine Wange an die duftende Haut seiner Frau Jane und lauschte ihren gleichmäßigen Atemzügen. Nach dem Nachtmahl hatte sie sich nicht recht wohlgefühlt, doch nun schlief sie so ruhig, als gäbe es keine Sorgen auf der Welt. Darum beneidete er sie. Je weiter die Zeit fortschritt, desto schwieriger wurde es für ihn, Schlaf zu finden. Zuweilen lag er noch lange wach, so wie an diesem Abend, und betrachtete ihr schmales Gesicht, das so zerbrechlich wirkte und so gar nicht zu den schwellenden Brüsten und dem prallen Leib passen mochte. Seit dem Moment, da sie ihm gestanden hatte, dass sie schwanger war, lebte er in der ständigen Furcht, dass ihr oder dem Kind etwas zustoßen könnte. Seine erste Gemahlin war nach einer Fehlgeburt gestorben, und er gab sich die alleinige Schuld daran. Sein sehnlicher Wunsch, Kinder zu haben, hatte seine arme Beth frühzeitig ins Grab gebracht. Er wollte auf keinen Fall erleben, dass es Jane ebenso erging. Ängstlich beobachtete er sie, ob sie wohlauf war, fragte sie immerzu nach ihrem Befinden und umsorgte sie wie eine Glucke ihr Küken. Einmal die Woche schickte er nach seinem Freund Dr. Fauconer, damit er Jane untersuchte und Sir Orlando bestätigte, dass alles in Ordnung war. Dann erst gelang es dem Richter, ein wenig gelöster zu schlafen, denn er hatte uneingeschränktes Vertrauen in die Fähigkeiten des Arztes. Immerhin hatte dieser ihn einst von einer schweren Krankheit geheilt, als er von anderen Ärzten bereits verloren gegeben worden war. Wenn jemand sein Kind gesund auf die Welt bringen konnte, dann Dr. Fauconer! Sir Orlando verband eine außergewöhnliche Freundschaft mit diesem Mann, der nicht nur Arzt und Gelehrter, sondern auch katholischer Priester und Jesuit war. Da im protestantischen England die Ausübung des römischen Glaubens verboten war, arbeiteten die Priester, denen dem Gesetz nach die Todesstrafe drohte, unter falschem Namen im Verborgenen und hielten die heilige Messe für ihre Gläubigen in Privathäusern ab. So war auch Fauconer nicht der richtige Name seines Freundes. Manchmal erschien es dem Richter seltsam, dass er nicht wusste, wie der Mensch, dem er am meisten vertraute, in Wirklichkeit hieß, doch es war ihm nie wichtig gewesen.

Der lang ersehnte Schlaf begann Sir Orlando Trelawney endlich einzuhüllen, als ein Geräusch ihn hochfahren ließ. Jemand hämmerte unten an das Hauptportal. Sofort war der Richter hellwach. Wenn jemand zu dieser späten Stunde Einlass begehrte, musste es sich um etwas Wichtiges handeln. Vorsichtig erhob er sich aus dem Bett, bemüht, seine Gemahlin nicht zu wecken, doch da öffnete Jane auch schon die Augen.


 
 
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